Ironische Spielformen – Satire im Journalismus

Mit “SPAM” bei Spiegel-Online und “Glasauge” bei Welt Online haben in jüngster Zeit zwei bedeutende Nachrichten-Häuser eigene Satire-Rubriken eingerichtet. Doch von einem Boom ist nichts zu sehen. Dabei täte mehr Mut zur Satire dem Journalismus sehr gut. Schlaglichter.

Die “Besondere Ehrung des Deutschen Volkshochschul-Verbandes” erhielt Ende März in Marl einer der besten investigativen Journalisten: Hape Kerkeling. Seine Interviews auf CDU- und SPD-Parteitagen für seine Radio-Bremen Sendung “total normal” (1989 – 1991) sind unerreicht, und sein “Hurz-Konzert” sagte mehr über die deutsche Hochkultur als ein Jahrgang FAZ-Feuilleton. Auch als Horst Schlämmer vom “Grevenbroicher Tagblatt” wirbelt er die gewöhnlichen Elemente der Alltagswelten, nicht zuletzt der medialen, durcheinander”, wie es in der Begründung zum Adolf-Grimme-Preis heißt. Für seine Verdienste um die Entwicklung des Fernsehens wurde er allerdings nicht als Journalist geehrt, sondern als Komiker.Hape Kerkeling ein Kollege von Hans Leyendecker und Jürgen Roth? Kerkeling stellt relevante Gegenwartsfragen, sucht Antworten und veröffentlicht diese Rechercheergebnisse – das könnte Journalismus sein. Für seriöse Aufklärer ist allerdings Kerkelings Methode irritierend weit weg vom eigenen Beruf: er setzt auf Komik. Wenn dabei Aussagen entstehen (Nachrichten, Meinungen), ist die Methode allerdings auch im Journalismus erlaubt und heißt Satire. Werktags kommt sie meist als gewöhnliche Glosse daher, aber an Feiertagen kleidet sie sich schon mal besonders schick. Wie im letzten Oktober, als Christoph Schwennicke in der Süddeutschen Zeitung seinen “12-Punkte-Plan mit dem Nötigsten” zur Rettung Deutschlands präsentierte. Brillant bürstete er die dringend nötige aber gähnend langweilige Reform-Debatte gegen den Strich, wie es nur die Satire kann: Scharfe Föderalismuskritik kleidete er in Samt (“Wahrscheinlich aber war Stoiber nur kurz austreten, als die Sozialdemokraten der Kanzlerin das Kuckucksei der Überforderungsklausel (!) unter den Bürzel schoben.”), er macht apodiktische Vorschläge (“Im Parlament zwei Legislaturen, falls es zur Regierung reicht: bis zu vier.”) und er mischt Populismus (“Fusion von CDU und CSU”) mit Provokation (“Verbot der Demoskopie”). Das ganzseitige Stück ist so gut gelungen, dass Politik-Professor Frank Decker (Bonn) in der “Berliner Republik” (2/2007) feststellt, dass “ironische und polemische Zutaten sich vom offenkundig ernst gemeinten Kern der Systemkritik aber nur schwer trennen lassen”, weshalb Decker Schwennicke fatalerweise “im Folgenden beim Wort” nimmt und damit ungewollt die Entlarvung der Establishment-Verwalter fortsetzt. Satire mit Langzeitwirkung.

Schwennickes Rettungsplan zeigt einen Teil der Chancen und das einzige Risiko journalistischer Satire auf. Zu den Chancen gehört, etwas zu sagen und damit auch noch wahrgenommen zu werden (wie taz-Satire-Chef Michael Ringel sagt: “Gelungene Satire ist bestes Infotainment”) . Das – hohe – Risiko ist, nicht verstanden zu werden.

Deshalb findet journalistische Satire fast nur in eigens eingerichteten Darstellungsform-Schutzgebieten statt. “Vorsicht, Satire!” steht dann auch über der zartesten aller Glossen. Denn neben dem Unverstand seiner Leser muss der Satire praktizierende Journalist stets den Verstand seiner potentiellen Richter fürchten. Satire trampelt anderen Leuten auf die Füße – zwingend. Da bei Humor der Spaß aufhört, wacht in Deutschland eine auf beiden Augen blinde Justitia über allem. Was ist Satire und was verbietbare Blödelei? Das Bundesverfassungsgericht prüft das regelmäßig und führt Justitia auf rechter Straße, so mit folgender Leitplanke:

“Deshalb soll zunächst der Aussagekern erfasst und daraufhin überprüft werden, ob er mit Art. 5 GG unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Persönlichkeitsschutzes vereinbar ist. Der ermittelte Aussagekern ist, soweit er eine Wertung ausdrückt, daraufhin zu überprüfen, ob eine Schmähkritik vorliegt. Enthält er demgegenüber eine Tatsachenmitteilung, so ist zu klären, ob sie wahr oder auf sonstige Weise gerechtfertigt ist.” Anlass der Richter-Belehrung war die Frage, ob der damalige Telekom-Chef Ron Sommer in einer Bildmontage der Wirtschaftswoche so ausreichend verzerrt worden war, dass “der Betrachter der Abbildung die manipulative Veränderung erkennen und deswegen gar nicht zu der irrigen Einschätzung kommen kann, der Abgebildete sähe in Wirklichkeit so aus”. Anders ausgedrückt: Satire darf, soll sie deutsche Gerichtsbarkeit überleben, den Begriffsstutzigen nicht diskriminieren.

Das ist bei innovativen Satire-Anwendungen nicht einfach, insbesondere in der Recherche. Die Erfolgsaussichten sind jedoch gülden, sei es unter pekuniärer Betrachtung (Star: Michael Moore), sei es unter aufklärerischer – siehe Titanic im Mai 2001: Da gelang es dem Frankfurter Satiremagazin, mit einem Anruf in der CDU-Parteizentrale Eckart von Klaeden und  Willi Hausmann in die Schweiz zu locken, um ein vorgebliches Schwarzgeldkonto mit mehreren Millionen Franken aufzulösen. Auch viele Medien-Aktionen von Martin Sonneborns “Partei” rund um den “Wiederaufbau der Mauer” sind nicht nur als Aktions-Kunst zu sehen: sie sind journalistische Recherche mit ungewöhnlichen Mitteln – die dem Deutschen Presserat nicht gerade ans Herz gewachsen sind.

Große Hoffnungen konnten Satire-Freunde daher haben, als der ehemalige Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn letzten Oktober bei Spiegel-Online startete: eine eigene Rubrik, “Spam” genannt und mit witzigen drei “m” auch so im Internet zu erreichen, dürfen er, Benjamin Schiffner und Georg Behrend seitdem täglich füllen. Der Respekt beim kurz zuvor an den Start gegangenen Wettbewerber “Glasauge” von Welt.de war ob der Profis groß – eine Zeit lang. Dann offenbarte sich die Bescheidenheit des Spiegel-Angebots.

So führte Martin Sonneborn für “Spam” Video-Interviews mit Abgeordneten des Bundestags, deren Botschaft sich darin erschöpft, dass diese “Hinterbänkler” für eine Sequenz auf dem Bildschirm bereit sind, sich gewaltig zu verbiegen. Das ist nicht neu, nicht überraschend, – jeder weiß es oder kann es zumindest wissen, wenn es interessiert. Spannender wäre schon die Wendung, dass solche Inszenierungen eben nicht nur von Sonneborn, sondern von den Kollegen des ernsten Fachs kommen: “Und jetzt bitte noch mal”, “Noch mal etwas kürzer”, “Vielleicht könnten Sie…” ist überall zu hören, wo Kameras auftauchen.

SPAM hatte es direkt zum Start mit Verve versucht. In den Schlagzeilen war gerade die “Totenschändung” durch Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. “Sehr gewagt” fand die Berliner Zeitung, dass “auf gestellten Aufnahmen […] deutsche Soldaten harmlos-absurden Tätigkeiten nach[gehen], während ihnen ein riesiger Plastikpenis aus der Tarnhose hängt.” Die absurden Fotos mit Plaudertext entlarvten im besten journalistischen Sinne vieles an der damals aufgeregt geführten Diskussion. Doch die Foto-Story war nur wenige Stunden online, dann verschwand sie – zu verschieden waren die Meinungen im Hause Spiegel, wie der Vize-Chef Wolfgang Büchner damals sagte. Seitdem ist nicht mehr viel passiert bei SPAM. “Komisch wie die ‚Zeit’, seriös wie Focus-TV, aktuell wie der Winterfahrplan der Deutschen Bahn – das ist unser Ziel”, hatte Spiegel Online Sonneborn im August 2006 in einer Pressemitteilung werben lassen – nun findet Büchner für Fragen zu seiner innovativen Satire-Rubrik über einen Monat lang “im Moment leider keine Zeit”. Ein leuchtendes Exempel für Satire im Journalismus ist “Spam” nicht geworden, vermutlich wegen der fehlenden Verzahnung von journalistischer Redaktion und Satire-Abteilung.

Ein guter Satiriker macht eben noch keinen guten Satire-Journalismus. Dafür ist zunächst mal das ganz gewöhnliche journalistische Know-how gefordert. Beispiel “Toll!”, die satirische Film-Kolumne bei Frontal21. “Wir arbeiten streng nach den journalistischen Qualitätskriterien, und das ist vor allem Relevanz”, sagt Andreas Wiemers, einer der beiden verantwortlichen Redakteure. “Nur was wichtig ist, eignet sich für Satire. Sonst wird’s Klamauk.” Seine Beiträge seien die schärfste Form des Kommentars.

Wie andere journalistische Darstellungsformen und Stilelemente ist Satire lernbar. Sicherlich lebt ihr künstlerischer Aspekt von der zündenden Idee, der klugen Ausgangsfrage, einer talentierten Inszenierung, doch das meiste ist Handwerk. Andreas Wiemers: “Für viele ist das, was wir machen, eine Wunderwissenschaft, etwas Mysteriöses –  völlig zu unrecht, Satire kann man üben.”

Doch wo? In der journalistischen Aus- und Fortbildung kommt Satire kaum vor. Allenfalls in Gestalt der Glosse wird über sie doziert: die Fotomontage, das Fake-Interview, die absurde Reportage kommen nicht vor. Die hauptberuflichen Karikaturisten in Deutschland beispielsweise sind sämtlich Seiteneinsteiger in den Journalismus, haben sich ihr Handwerk selbst beigebracht oder stammen aus dem grafischen Milieu, wie eine noch unveröffentlichte Dissertation gerade herausgefunden hat. Das führt zu einem nicht zu unterschätzenden Problem: Karikaturen richten sich praktisch nur daran aus, was den Verantwortlichen in den Redaktionen gefällt. Und geschriebene Satire findet gleich gar keinen Platz. “Wenn ich Sendern etwas anbiete, sagen sie oft: ‘Wir haben doch schon Peter Zudeicks satirischen Wochenrückblick'”, klagt der auf Radio-Comedy spezialisierte Journalist Ralf Gödde. Mit drei Minuten pro Woche gilt Satire als erschöpft.

“Weil kaum eine Redaktion unverlangte Satire nimmt, wird nichts mehr gewagt”, kritisiert Bernd Zeller, All-in-one-Chef beim Satiremagazin “pardon”, und spricht verächtlich von “Auftragsarbeiten”. Allerdings weiß er um die Widerborstigkeit seines Publikums: “Niemand kauft in Deutschland ein Heft, um sich zum Widerspruch herausfordern zu lassen.” Deshalb hätte Heiko Sakurai, hauptberuflich Karikaturist für Tageszeitungen, nichts dagegen, wenn Journalisten etwas mehr über Satire, ihre Elemente und Wirkungsweisen lernen würden: “Das könnte die Akzeptanz für schwierigere Themen erhöhen.”

Ohne Satirewerkzeug fehlt Journalisten nicht nur eine attraktive Darstellungsform, gelegentlich sind sie regelrecht verloren. Zum Beispiel wenn es um Verpackungs-Terror geht. Die Welt hatte sich des Themas angenommen, und der Teaser ließ noch hoffen: “Getränkekartons sind simpel. Aber sie zu öffnen, wird immer komplizierter. Trotzdem ersinnen die Hersteller munter neue Varianten. Warum nur?” Doch es folgt eine bierernste Kolportage, was der Kommunikations-Chef der Firma Tetra Pak zu sagen hat. Dem Wahnsinn auf dem Küchentisch wird nur kurz deskriptiv auf den Leib gerückt (“Wie kriegt man diese Dinger auf? Drehen, falten, drücken, ziehen, reißen – jede Papptüte will auf ihre eigene Art geöffnet werden.”) – journalistisch bleibt er unbearbeitet. Eine von vielen verpassten Chancen für interessanteren und auch tiefergehenden Journalismus mit den Mitteln der Satire.

Die verpassten Chancen sind in Deutschland institutionalisiert. Das selbst ernannte “Sturmgeschütz der Demokratie” kommt vollständig ohne Satire aus. Eine Ahnung davon, was “Das deutsche Nachrichtenmagazin” mangels Satire alles nicht aufklärt, kann bekommen, wer “Le Canard enchaîné” liest. Die französische Satirezeitung erscheint wöchentlich in einer Auflage von über 400.000 Stück – und bietet Journalismus pur, darunter viel Investigatives.

Dass es in Deutschland kein annähernd vergleichbares Presseorgan gibt, verwundert Satiriker wie Forscher nicht. Hans Bohrmann, Professor für Pressegeschichte an der Uni Dortmund, verweist wie viele andere auf die bisher relativ kurze demokratische Geschichte Deutschlands. Während in Frankreich die Satire schon vor der französischen Revolution Konjunktur hatte, herrschte im vorbundesrepublikanischen Deutschland bis auf eine kurze Unterbrechung in der Weimarer Republik stets Zensur, unter der es Satire als Form für freien Geist schwer hatte –  journalistische Dichter wie Heinrich Heine oder Georg Büchner zogen (eilig) von dannen.

Große Satiriker wie Erich Kästner oder Kurt Tucholsky werden rege zitiert – aber im Gegenwartsjournalismus kaum beherzigt. Dabei war gerade Tucholsky ein Künstler der kleinen Form, der jedem Volontär als Lehrmeister gratis zur Verfügung steht. Eine seiner bekanntesten Aussagen – “Soldaten sind Mörder” – ist keine Satire, aber der entsprechende Artikel “Der bewachte Kriegsschauplatz” enthält wie so viele seiner Texte Satireelemente, die gerade deshalb wirken, weil sie nicht in der Klamauk-Ecke stehen: “[Die Feldgendarmen] passten keineswegs nur auf, dass niemand von den Zivilisten in einen Tod lief, der nicht für sie bestimmt war…” oder: “In diesen deutschen Strafkompanien sind Grausamkeiten vorgekommen, deren Schilderung, spielten sie in der französischen Fremdenlegion, gut und gern einen ganzen Verlag ernähren könnte.” Auch dieses ernsteste aller Themen, der Krieg, verträgt natürlich Satire, gerade in einem Kommentar (und nichts anderes ist “Der bewachte Kriegsschauplatz”).

Der Kommentar hat auch heute den größten Anteil an der journalistischen Satire-Produktion. Kaum jemand traut sich an den ausführlicheren “Hintergrund”, die “Analyse”, wie Tucholskys Wendriner-Geschichten es waren. “Die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt” im Blog von Handelsblatt-Redakteur Thomas Knüwer ist so etwas (wenn auch mit weit geringerer politischer Dramatik). Die wöchentliche NDR-Satiresendung “extra3” wagt satirische Interviews, “quer” im Bayerischen Fernsehen setzt häufig auf die Verunsicherung: wörtlich gemeint oder Satire?

Satire darf alles, kann aber nur vieles. Denn sie ist auf Vorwissen angewiesen. Die Hörer, Leser oder Zuschauer müssen einen gemeinsamen Satz von Symbolen kennen, um die satirischen Elemente zu dechiffrieren, meint Heiko Sakurai. Viele Themen sind dafür zu komplex – oder schlicht zu unbekannt. Was bleibt, ist aber immer noch ein riesiges Feld, das auf den Satire-Pflug wartet.

(Timo Rieg)

 

Sag die Wahrheit…

Interview mit Michael Ringel, Ressortleiter taz Wahrheit

Die taz ist die einzige deutsche Tageszeitung, die ihren Lesern täglich eine Satire-Seite bietet. Die nennt sich “Die Wahrheit” und erscheint seit dem 3. September 1991. Neben Cartoons und literarischer Satire findet sich dort auch Skurriles aus dem Agentur-Ticker. Für großen Wirbel sorgte der Beitrag “Polens neue Kartoffeln – Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Lech ‘Katsche’ Kaczynski”. Ein Interview mit dem Ressortleiter Michael Ringel.

Rieg: Sind taz-Leser besonders offen für Satire?

Ringel: taz-Leser stoßen bei Satire genau so schnell an ihre Grenzen wie alle anderen auch. Sobald wir die Reizthemen Kirche, Tiere, Sex aufrufen kommen die Beschwerden

Rieg: Hat Satire derzeit Konjunktur?

Ringel: Nein, abgesehen von den bekannten Satire-Zeitschriften ist Satire im Journalismus sehr selten. In den letzten Jahren sind die Angebote eher abgebaut worden. Auch die taz hatte früher mehr Glossenformen, z.B. die Querspalte.

Rieg: Aber im Web brummt’s.

Ringel: Glasauge und SPAM sind sicherlich Versuche der Verlagshäuser, ihre Online-Angebote weiter zu popularisieren. Man kann ja an der “Wahrheit” sehen, dass wir auch kontroverse Themen setzen können und Reaktionen auslösen. Die Satire-Angebote gehören da zum redaktionellen Marketing – es dominiert die Unterhaltung.

Rieg: Warum findet man so wenig Satire außerhalb gekennzeichneter Reservate?

Ringel: In erster Linie ist das ein pragmatischer Grund – Angst vor Gerichtsverfahren. Die Leute klagen ja wie wild, wir können kaum noch einen Namen nennen, ohne dass spezialisierte Kanzleien auf den Plan treten. Da schreibt man “Vorsicht Satire” oder eben “Die Wahrheit” und reklamiert für sich die Meinungs- und  Kunstfreiheit, das hilft schon mal ein bisschen.

Rieg: Und in zweiter Linie?

Ringel:  Die Ernstler unter den Journalisten sind in den letzten Jahren noch ernster geworden. Ein paar von ihnen mögen ja Humor haben, aber sie zeigen es niemandem.

Rieg: Kann man denen helfen?

Ringel: Man müsste Ironieschulen eröffnen, jedem Journalisten erklären, dass man immer auch  das Gegenteil mitdenken muss. Man müsste so einfache Dinge wie Hyperbel und Litotes lehren. Man sollte Journalisten klar machen, dass man nicht immer alles 1 zu 1 beschreiben muss, sondern manchmal auch einen Umweg braucht.

Rieg: Und das muss auf witzige Weise geschehen, meint die Neue Frankfurter Schule.

Ringel: Satire ist ein komisches Genre. Eine Satire, die nicht komisch ist, funktioniert gar nicht. Wenn ich nicht lache, kann ich keine Distanz zum Gegenstand entwickeln, und dann gibt es keine Entlarvung.

Rieg: Ist die funktionierende Satire lernbar?

Ringel: Die Mittel der Komik sind sicher lernbar. Aber meistens geht’s irgendwie schief – und wird Industriekomik.

Rieg: ???

Ringel: Die Leute besuchen Creative Writing Seminare oder – ganz schlimm – das Leipziger Literaturinstitut und schicken uns dann ihre unglaublich schlechten Texte. Denen fehlt genauso die Leichtigkeit wie den Ernstlern. Sie versuchen sich an Techniken, aber sie entwickeln nichts eigenes – und haben keine Distanz zum Gegenstand ihrer Betrachtung.

Rieg: Wer kümmert sich denn dann um den Nachwuchs?

Ringel: Wir haben ständig Praktikanten und wir geben wirklich vielen jungen Autoren eine Chance. Aber die müssen auch kämpfen und selbst ausprobieren, ohne sofort Erfolg zu erwarten. Die meisten hat das Internet kaputt gemacht, bevor sie was können.

Rieg: Das Internet verhindert gute Satire?

Ringel: Sicher. Anstatt sich Grundlagen anzueignen und literarische Positionen zu finden kippen die jungen Schreiber alles in irgendwelche Blogs. Die sind so was wie früher der “Werkkreis Literatur der Arbeitswelt” oder “Bürgerfernsehen”.

Rieg: Sind das nicht gute Möglichkeiten, sein Können auszuprobieren?

Ringel: Man darf vieles machen, aber nicht alles. Es geht zum Beispiel nicht, dass man schlecht ist. Aber die Blogger merken ja nicht, wie schlecht sie sind. Anstatt sich ihre Feinde zu erarbeiten, kuscheln sie miteinander.

Rieg: Helfen Vorbilder?

Ringel: Begrenzt. Natürlich muss man sich als Satiriker mit Satirikern beschäftigen. Aber irgendwann muss der Punkt kommen, wo man was eigenes entwickelt. Wenn man heute das gleiche schreibt wie Tucholsky – liest das halt niemand mehr. Auch der Stil der Titanic-Texte aus den 80er Jahren würde heute auf der Wahrheits-Seite nicht mehr funktionieren. Was geht, kann man nicht lernen, das muss man ausprobieren.

Rieg: Und wie geht die richtig gute taz-Satire?

Ringel: Gute Autoren, gute Grundlagen – und dann günstige Zufälle. Wir haben ja auch nur einmal im Jahr so eine große Geschichte wie die Kaczynskis. Programmierte Geschichten funktionieren viel seltener, als man glaubt.

(In gekürzter Form erschienen in “journalist” 7/2007, Seiten 34-38)

 

 

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