Mit gut zwei Drittel Mehrheit hat der alte Bundestag vergangene Woche für Änderungen des Grundgesetzes gestimmt, die neue Schulden in Höhe von mindestens einer Billion Euro möglich machen. Obwohl dies laut Forsa-Umfrage zwei Drittel der Bevölkerung begrüßen, sehen ebenso zwei Drittel laut ZDF-Politbarometer in der Kehrtwende der Union eine Wählertäuschung. Denn vor der Wahl stand die CDU zur Schuldenbremse, und Kanzlerkandidat Friedrich Merz sagte:
„Grundsätzlich sollten wir irgendwann mal mit dem Geld auskommen, das wir an Steuern in Deutschland einnehmen – und das sind mittlerweile fast 1.000 Milliarden Euro pro Jahr.“
Volle Zustimmung, damals wie heute. Denn ich gehöre zu der Minderheit von einem Drittel, die das neue Schuldenpaket ablehnt. Mehr noch: ich bin entsetzt, was die Politik beschlossen hat und wie die Diskussion darum verlaufen ist.
Sind Staatsschulden gut und geradezu notwendig – oder Teufelszeug? Leider sind sich in dieser fundamentalen Frage Ökonomen uneins, was mich sehr misstrauisch macht. Es hängt offenbar unter anderem davon ab, wie weit jemand in die Zukunft schauen kann.
Unbestreitbar ist jedenfalls: Schon unsere derzeitigen Schulden sind immens teuer. Letztes Jahr kosteten die Kreditzinsen allein im Bund 40 Milliarden Euro – so viel, wie vor kurzem noch das gesamte deutsche Militär.
Und wohin fließt diese Unsumme an Geld? Tendenziell von Arm nach Reich, jedenfalls von allen Steuerzahlern zu denen, die Geld zu verleihen haben. Die Bauarbeiter, die jetzt unsere marode Infrastruktur sanieren sollen, bekommen zwar Lohn für ihre Arbeit, zahlten aber auch die Schuldzinsen dafür – und zwar bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Denn bis auf wenige und unbedeutende Ausnahmen nehmen die Staatsschulden jedes Jahr zu.
Würden Politiker Kredite nutzen, wie es jede Firma tun muss, gäbe es kein Problem: Anstatt anzusparen, bis man sich eine Investition leisten kann, kauft man auf Pump, wenn man so trotz der Zinskosten unterm Strich mehr erwirtschaften kann.
Bei Staatsschulden wird diese Rechnung nicht aufgemacht. Oder um wie viel wächst unser Bruttosozialprodukt, wenn nun Straßen und Schultoiletten auf Vordermann gebracht werden, so dass die dafür aufgenommenen Schulden wirklich getilgt sind und wir hernach besser dastehen als vorher?
Stattdessen werden künftige Staatshaushalte mit immer weiteren Zinszahlungen belastet.
Schulden, die nicht beglichen werden, sind die billigste Art, Politik zu machen: kein Ringen um Prioritäten, keine Suche nach Fehlern im System, sondern Geld verteilen, das man gar nicht hat.
Solche Politik folgt einem weit verbreiteten Muster. Forscher der Universität Virginia konnten in einer Reihe von Experimenten zeigen, dass Menschen zur Lösung eines Problems eher etwas hinzufügen als wegnehmen wollen, ob nun eine Mini-Golf-Bahn attraktiver oder eine Konstruktion aus Legosteinen stabiler gemacht werden sollte.
Entsprechend lösen Politiker Probleme meist, indem sie mehr fordern: mehr Regelungen, mehr Personal, mehr Geld.
Genau deshalb hat das Parlament vor 16 Jahren eine Schuldenbremse in die Verfassung geschrieben. War der Klimawandel damals noch unbekannt? Konnten Politiker gar nicht wissen, dass Straßen, Kanalisationen oder Gebäude nicht nur einmal gebaut, sondern danach fortwährend instand gehalten werden müssen?
Ein kleiner Hoffnungsschimmer bleibt. Denn die Grundgesetzänderungen eröffnen nur die Möglichkeit für gigantische Kredite. Über jede neue Schuldenaufnahme muss aber der Bundestag entscheiden.
Diskutieren wir also darüber. Und zwar im Detail: Was soll konkret mit welchen Millionen oder Milliarden erreicht werden und wie rechnet sich das auf lange Sicht?
Denn andernfalls wollen wir es uns nur heute gut gehen lassen auf Kosten anderer, die nicht mitentscheiden können. Und das fände ich nicht nur billig, sondern schäbig – so sehr ich auch für Klimaschutz und ästhetisch akzeptable Schultoiletten bin.
Timo Rieg
(ähnliche Fassung gesendet als Politisches Feuilleton)