„Wir Sozialstaatsgläubige“

Die Parteiprogramme zur Neuwahl des Bundestags Anfang nächsten Jahres sind noch nicht beschlossen, aber sicher ist: das Schlagwort von der sozialen Gerechtigkeit wird nirgends fehlen.

Denn nach mehr bzw. gerechterer Umverteilung des Wohlstands rufen viele. Im Fokus steht dabei meist das Steuerrecht. Weit weniger diskutiert werden hingegen freiwillige Gaben.

Besonders aufhorchen lassen in dem Zusammenhang Reiche, die höhere Steuern für sich und ihresgleichen fordern. Ausgehend von der Initiative einiger Millionäre in den USA verlangen auch in Deutschland manche, die vor allem als Erben zu großem Wohlstand gekommen sind: „Tax me now“, „Besteuert mich jetzt“.

Der entsprechende Verein sagt auf die Frage, warum die in ihm engagierten Reichen nicht einfach mehr spenden: „Wir finden es problematisch, wenn die Finanzierung und Ausgestaltung des Gemeinwesens von dem Wohlwollen und den Gemeinwohlvorstellungen von Vermögenden abhängig ist.“

Dem kann man kaum widersprechen. Denn über hohe Spenden wird natürlich auch Einfluss ausgeübt, denken wir an die großen Stiftungen, die mit Stipendien, eigener Forschung oder Bauprojekten die Gesellschaft gestalten.

Trotzdem wird  mehr Steuergerechtigkeit allein das Problem nicht lösen. Dafür ist die Wunschliste viel zu lang: mehr frei zugängliche Bildungsangebote, mehr Naturschutz, mehr Kulturförderung, mehr Straßen oder Bahnlinien, mehr dies und das und jenes. Jeder kennt gesellschaftliche Bereiche, in die investiert werden sollte.

Aus demokratischer Sicht sollten Steuern vor allem für das verwendet werden, was unterm Strich von allen gewollt ist, mit den nötigen Kompromissen und mit gegenseitigen Zugeständnissen.

Je weiter jedoch die Vorstellungen über Notwendiges oder nur Wünschenswertes auseinandergehen, umso stärker sollten Projekte von ihren ideellen Unterstützern auch selbst getragen werden.

Im letzten Jahr wurden in Deutschland fast 13 Milliarden Euro für gemeinnützige Zwecke gespendet, also rund 150 Euro pro Einwohner. Dass nicht jeder etwas abzugeben hat, ist klar. Doch bei einem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen von etwa 52.000 Euro brutto im Jahr, einem Geldvermögen von knapp 94.000 Euro pro Kopf und einem durchschnittlichen Haushaltsvermögen – inklusive Eigentum – von über 300.000 Euro sollte da noch mehr gehen.

Wie schwierig das mit dem freiwilligen Geben jedoch sein kann, habe ich vor einigen Jahren mit großem Staunen erlebt:

Auf einem Konfirmandenelternabend wurde vorgeschlagen, sich an der sogenannten „Mister-Zehn-Prozent“-Aktion zu beteiligen. Dabei spendet ein anonymer Geschäftsmann zehn Prozent seines Jahreseinkommens, wenn sich eine paar hundert Menschen finden, die es ihm gleichtun. Auch Taschengeld- und Rentenbezieher können mitmachen.

Die Idee war daher, dass die Jugendlichen von dem Geld, das sie zu ihrer Konfirmation geschenkt bekommen, ein Zehntel spenden.

Doch die meisten Eltern protestierten vehement. Wie man auf die Idee kommen könne, ihren Kindern etwas von dem wegnehmen zu wollen, wofür sie nun ein Jahr lang gearbeitet hätten.

Der Vorschlag wurde in Bausch und Bogen verworfen.

Sicher kann man sagen, Verwandte und Bekannte wollten mit ihren Geldgeschenken zu Anlässen wie Konfirmation, Jugendweihe oder Erstkommunion den Kindern und Jugendlichen eine Freude machen, nicht das Gemeinwohl fördern.

Pädagogisch wäre es jedoch ein guter Moment, in die Verantwortung hineinzuwachsen, die mit dem eigenen Wohlstand verbunden ist. Solche Feste sind eine Gelegenheit, über Verteilungsgerechtigkeit nachzudenken. Und zwar mit Blick auf das eigene Sparbuch, nicht das von anderen.

Mit unseren Steuern und Abgaben haben wir uns nicht aus der Verantwortung für das Gemeinwesen freigekauft. Und in vielen Fällen kann man auch anders helfen als mit Geld. Zum Beispiel durch tatkräftige, ehrenamtliche Mitarbeit.

(Politisches Feuilleton am 20. November 2024)

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