Der Staat sind wir

In einer Videoansprache sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich zu den notwendigen Haushaltseinsparungen, die sich aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergaben: “Wichtig war mir eine soziale Balance zu wahren und wichtige Entlastungen abzusichern, zum Beispiel, dass wir als Staat die EEG-Umlage bezahlen und nicht die Bürgerinnen und Bürger.”Der Staat zahlt also, die Bürger profitieren. Wie geht das? Wer ist dieser Staat, der hier für den Umbau unserer Ökonomie hin zu erneuerbaren Energien zahlt, ohne damit die Bewohner des Landes zu belasten? Und wie macht er das? Der Staat kann zwar Geld drucken. Damit schafft er aber kein neues Vermögen, sondern Inflation.

Habecks Aussage klingt etwas zu schön, um wahr sein zu können. Wenn der Staat nicht selbst unternehmerisch tätig ist und damit Gewinne erzielt, braucht er Geld von den Bürgern, ob nun als Steuern, Abgaben oder Zölle. Auch die EEG-Umlage bezahlen daher letztlich wir Bürger.

Habeck hätte recht, wenn er auf die Unterscheidung von Staat und Bürgern verzichtet hätte: wir als Staat bezahlen das. Wir alle, mit unterschiedlichen Anteilen. Wer anderes als wir alle sollte auch dieser Staat sein? Als Abstraktum kann “der Staat” weder lesen noch schreiben noch rechnen. Er kann weder sich noch andere bilden, niemanden medizinisch versorgen, keine Medaillen vergeben, niemanden ins Gefängnis stecken und – ja – auch kein Geld drucken. All das können nur Menschen, Bürger eben.

Das gerät aus dem Blick, wenn eher nebulös vom Staat gesprochen wird. In den Medien lesen wir Parolen wie “Der Staat muss auf die Bürger zugehen”, “Der Staat muss Härte zeigen” oder auch in die andere Richtung: “Der Staat muss gehorchen, nicht der Bürger”.

Solche Staats-Phrasen verschleiern, wer tatsächlich etwas tun oder lassen soll: Minister einer Regierung, Abgeordnete eines Parlament oder Staatsanwälte und Richter in der Justiz? Oder Menschen außerhalb dieser drei Staatsgewalten, die kein belangloser Rest sind, sondern das Fundament des ganzen Staatskonstruktes. “Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus”, heißt es schließlich im Grundgesetz.

Wer als Bürger Forderungen an “den Staat” richtet, macht es sich zu einfach, ebenso wie Politiker, die behaupten, als Staat etwas für die Bürger zu tun. Ein Obrigkeitsdenken, welches zwischen Staat und Bürgern trennt, sollte längst der Vergangenheit angehören. Auch die Repräsentanten staatlicher Institutionen sind Bürger – und zwar “nur Bürger”, keine Fürsten und keine Mitglieder eines Hofstaats. Dass sie vorübergehend – ob nun gewählt, berufen oder in einer Behörde angestellt – besondere Entscheidungsbefugnisse haben, macht sie nicht zu Bürgern einer besseren Klasse.

Dies bedeutet natürlich auch, dass Repräsentanten der Staatsgewalten nicht das Christkind sind, dem man seinen Wunschzettel schickt und dann auf wundersame Erfüllung hofft. Es ist eine Art der Selbstentmündigung, die eigene, wenn auch kleine Teilverantwortung für diesen Staat zu ignorieren.

Die Bauern-Demonstrationen der letzten Wochen werden in den Medien überwiegend als Proteste gegen die Regierung dargestellt. Und tatsächlich richten sich viele Forderungen an diese. Dennoch sind sie zunächst mal ein Beitrag zur öffentlichen Debatte. Wie immer die Politik reagiert, es wird in der einen oder anderen Form alle Bürger betreffen. Es verhandelt nicht ein Teil der Bürgerschaft mit dem Staat, es verhandeln Bürger in verschiedenen Rollen miteinander. Die Berichterstattung dazu ermöglicht es allen, sich in die Meinungs- und Willensbildung einzubringen.

Sprechen Politiker von sich selbst als Staat, besteht die Gefahr, dass sie den größten Teil dieses Staates nicht im Blick haben – und sich selbst etwas zu wichtig nehmen. Die Mitarbeitenden in den drei Säulen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung sind unbestreitbar Teil des Staates und nehmen wichtige Aufgaben wahr. So wie aber auch Bauern, Erzieherinnen, Handwerker, Künstler, wie ehrenamtliche Flüchtlingshelfer, Sporttrainer oder Umweltaktivisten. Wir alle gemeinsam sind der Staat.

(Timo Rieg im Politischen Feuilleton, Deutschlandfunk Kultur, 16. Februar 2024)

 

 

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.